Stammzelltechnologie an der Translationsschwelle

Vertreter/innen aus Politik, Medizin, Recht und Ethik diskutierten auf einer Dialogveranstaltung über Reformbedarfe im deutschen Stammzellgesetz.

Am 31.03.2022 gaben Fachleute aus den Bereichen Medizin, Jura und Ethik im Goethe-Museum Düsseldorf zunächst Einblicke in den aktuellen Sachstand. Anschließend gab es rege Diskussionen mit den Teilnehmenden, ob die Regelungen des Deutschen Stammzellgesetzes die gegenwärtigen Herausforderungen, vor die sich Gesellschaft und Forschung gestellt sehen, noch bedienen. Auch verschiedene Vertreter/innen der Bundes- und Landespolitik beteiligten sich am Diskurs.

Christina Berndt von der Süddeutschen Zeitung führte durch den Tag und moderierte in jedem Modul eine Podiumsdiskussion mit den Vortragenden, an denen sich das Publikum rege beteiligte:

Modul 1: Normative Einordnungen des Embryobegriffs

  • Prof. Dr. Henning Rosenau (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
  • Prof. Dr. Helmut Frister (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
  • Prof. Dr. Michael von Wolff (Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital Bern)

Modul 2: Rechtliche und regulatorische Translationshindernisse

  • Prof. Dr. Hans Schöler (MPI Münster)
  • Dr. Verena Börger (Universitätsklinikum Essen)
  • Prof. Dr. Dr. Tade Spranger (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)

Modul 3: Zukunftsperspektiven

  • Prof. Dr. Dieter Sturma (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
  • Prof. Dr. Hans-Georg Dederer (Universität Passau)
  • Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass dringender Überarbeitungsbedarf am Deutschen Stammzellgesetz und dem Embryonenschutzgesetz besteht. Denn Vergleiche mit anderen Ländern zeigen: Nirgendwo sonst sind die gesetzlichen Regelungen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen so restriktiv wie in Deutschland. Dabei beklagen einige Ärzte und Juristen eine Doppelmoral der deutschen Gesetzgebung, da Forschung an nach dem 1. Mai 2007 gewonnenen embryonalen Stammzelllinien in Deutschland verboten ist – Ergebnisse und etwaige Therapien, die auf ausländischer Forschung basieren, werden jedoch auch in Deutschland gerne verwendet.

Ein weiteres Problemfeld liegt in den gesetzlichen Einschränkungen von Forschenden, die neue klinische Behandlungen für Patient/innen entwickeln wollen: Mit den biomedizinischen Fortschritten der letzten Jahrzehnte könnten neue Therapien entwickelt werden, die im Erfolgsfall klinische Anwendungen und damit eine kommerzielle Nutzung der Forschungsergebnisse versprechen. Für klinische Studien sind Partner aus dem privaten Sektor notwendig, um die enormen Kosten abdecken zu können. Aufgrund des gesetzlichen Verbots der Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen besteht jedoch für Unternehmen kein Anreiz, in entsprechende Projekte zu investieren. Zudem führen hohe regulatorische Hürden zu langen und unnötig komplizierten Genehmigungsprozessen. Hier könnte durch praktische Maßnahmen wie der Einrichtung von zentralen Ansprechstellen Abhilfe geschaffen werden.

Im Bereich der ethischen Einordnung führt nach zwanzig Jahren kein Weg an der Feststellung vorbei, dass die zum Zeitpunkt der Abfassung des Stammzellgesetzes vorhandenen gesellschaftlichen Lager auch heute noch vorhanden sind und die ins Feld geführten Argumente sich nicht geändert haben. Allerdings stellt sich dabei die Frage, welche Änderungen der Einstellung in der Gesamtbevölkerung sich anhand des demografischen Wandels, des sinkenden Einflusses der Kirchen und der immer anwendungsfokussierten Debatte ergeben haben. Die Erhebung von belastbaren Daten wäre ein wichtiger nächster Schritt, um die schwierigen gesellschaftlichen Diskussionen zeitgemäß führen zu können.

Das Fazit unter den Teilnehmenden war, dass Antworten auf diese Fragen nicht noch einmal zwanzig Jahre auf sich warten lassen sollten.