"Translationale Stammzellforschung" in persona


16.12.2016   News


Projekte im Bereich der translationalen Stammzellforschung haben eine Brückenfunktion zwischen den grundlagenwissenschaftlichen Erkenntnissen im Labor und dem Einsatz in der Patientenversorgung. Wer sind die Menschen, die hinter einem solchen Projekt stehen? Welche Interessen haben sie, auch über den Tellerrand des eigenen Forschungsgebietes hinaus? Was bewegt sie momentan?Mit dieser Serie wollen wir versuchen, den abstrakten Begriff der Translation greifbar zu machen und einen Blick hinter die Kulissen der translationalen Stammzellforschung ermöglichen. Im zweiten Teil dieser Serie stellt sich Dr. Nina Neuhaus vom Universitätsklinikum Münster vor.

Ich bin ... Die Information zu meiner Person in Kürze: Ich bin Nina Neuhaus, 36 Jahre alt, Biologin, verheiratet und Mutter einer zweijährigen Tochter. Ich arbeite am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA). Dieses Centrum zeichnet sich dadurch aus, dass Grundlagenforscher und Kliniker in multidisziplinären Teams Themengebiete zur männlichen Reproduktion untersuchen.  

Mein Forschungsschwerpunkt am CeRA sind die humanen spermatogonialen Stammzellen des Hodens, die ab der Pubertät für die Spermienproduktion verantwortlich sind. 

Meiner Meinung nach sind insbesondere solche Studien, die das Potential dieser Stammzellen als Fertilitätsreserve eruieren, von zentraler Bedeutung. Grund dafür ist, dass weltweit spezialisierte Zentren damit begonnen haben, immatures Hodengewebe von kindlichen Patienten einzulagern, die beispielsweise auf Grund einer anstehenden Krebstherapie einem hohen Risiko ausgesetzt sind, zukünftig mit Subfertilität oder Infertilität konfrontiert zu werden. Erwachsene Männer haben die Option vor Beginn einer gonadotoxischen Behandlung Spermien als Fertilitätsreserve zu kryokonservieren, die zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen einer künstlichen Befruchtung verwendet werden können. Allerdings ist dieser Ansatz lediglich für Patienten nach der Pubertät und dem damit verbundenen Beginn der Spermienproduktion möglich. Bei präpubertären und früh-pubertären Patienten sind lediglich die undifferenzierten spermatogonialen Stammzellen im Hodengewebe vorhanden. Somit stellt das Risiko eines dauerhaften Fruchtbarkeitsverlustes insbesondere eine Belastung für diese Jungen dar.

Bestrebt, auch präpubertären Kindern die Möglichkeit einer zukünftigen Vaterschaft zu erhalten, haben Prof. Dr. Stefan Schlatt, Direktor des CeRA an der Universität Münster und Professor Dr. med. Sabine Kliesch, Chefärztin der Klinischen und Operativen Andrologie die Initiative ‚Andropotect‘ ins Leben gerufen. Das Ziel dieses klinischen Netzwerks ist es, in Münster eine deutschlandweite Gewebe-Bank einzurichten, um Hodengewebe solcher präpubertären Patienten und somit ihre Stammzellen zu erhalten. Zurzeit gibt es jedoch noch keine validierten Protokolle, um spermatogoniale Stammzellen in vitro in Spermien zu differenzieren und somit diesen Patienten tatsächlich zu leiblichen Kindern zu verhelfen. Da diese Patienten aber innerhalb der nächsten 10-20 Jahre zu einer Kinderwunschbehandlung vorstellig werden, besteht an dieser Stelle zwingender Forschungsbedarf. Dank der Förderung unseres Projekts ‚Testikuläre Stammzellen: Innovative Therapieoptionen zur Erhaltung der Fertilität in präpubertären Jungen mit Keimzelldefekten‘ im Rahmen des Förderwettbewerbs ‚Translationale Stammzellforschung‘ konnten wir die Forschung in diesem Bereich weiter vorantreiben. Genauer gesagt, in den letzten Jahren konnte unter Verwendung eines Mausmodells gezeigt werden, dass die Differenzierung von spermatogonialen Stammzellen in fertile Spermien mittels Organkultur erreicht werden kann (Sato et al., Nature, 2011). Diese Veröffentlichung stellte einen Durchbruch auf diesem Forschungsgebiet dar. Allerdings unterscheiden sich die Stammzellsysteme des Hodens deutlich zwischen Nagern und Primaten, dem Menschen eingeschlossen. So sind weitere Modifikationen der Protokolle notwendig, um auch die in vitro Spermatogenese im Menschen zu erreichen.  

Welchen Stellenwert hat die Förderung aus dem Förderwettbewerb „Translationale Stammzellforschung“ für Sie persönlich und für Ihre Arbeit im Allgemeinen? Diese Förderung war für mich persönlich und auch für das CeRA von großer Bedeutung, da es uns erstmals die Möglichkeit gegeben hat, die dringend benötigten translationalen Analysen durchzuführen. Dank der Förderung konnten wir eine Auswertung der immaturen Hodengewebe hinsichtlich der Anzahl der Stammzellen und ihres Differenzierungsgrads vornehmen. Gleichzeitig haben wir unter Verwendung eines nicht humanen Primatenmodells erste in vitro Kulturen durchführen können, um die Faktoren zu bestimmen, die für eine erfolgreiche Differenzierung der Stammzellen in Spermien notwendig sind. Zusammenfassend hat uns diese Förderung ermöglicht, Bewertungskategorien für bereits eingelagerte und zukünftige immature Hodenproben zu etablieren, die das Potential der jeweiligen Gewebeprobe als Fertilitätsreserve beschreiben. Die erste Translation der gewonnen Ergebnisse in die Klinik ist bereits erfolgt, da die neuen Bewertungskategorien Teil der Befundung werden sollen. Zudem werden die generierten Daten Grundlage für eine wissenschaftliche Veröffentlichung im Bereich der Translationalen Forschung und auch für zukünftige Forschungsanträge sein.  

Ein aktuelles wissenschaftliches Highlight für mich ... Bereits seit den 1960er Jahren versuchen Forscher, die Differenzierung von spermatogonialen Stammzellen im Modellsystem und auch im Menschen zu erreichen. In den letzten Jahren ist dies nun endlich im Nagermodell gelungen und die Kultursysteme werden immer weiter verbessert. Insbesondere die Versorgung der Gewebe mit Nährstoffen konnte durch eine Kombination mit mikrofluidischen Systemen verbessert werden. Mittels dieser neuen Ansätze streben wir an, die in vitro Spermatogenese mit menschlichem Material in naher Zukunft zu erreichen.

Was ich in diesem Monat außerhalb der Wissenschaft noch machen will ...Anlässlich des dritten Geburtstags meiner Tochter eine kunterbunte Kindergeburtstagsparty feiern.