Perspektiven der Forschung an embryo-ähnlichen Zellverbünden


30.09.2020   News


Die Wissenschaft erzielt rasche Fortschritte in der Herstellung von Zellverbünden, die Merkmale tierischer und menschlicher Embryonen aufweisen. Forscherinnen und Forscher fordern eine Debatte über den Umgang mit diesen „Embryoiden“ und klare Regeln.

Es gibt vieles, was die Forschung über die frühe Entwicklung menschlicher Embryonen noch nicht weiß. In jüngster Zeit gelingt es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer besser, unter Verwendung von Stammzellen embryoähnliche Strukturen herzustellen. An diesen Embryo-Modellen könnten wichtige neue Erkenntnisse gewonnen werden, doch dafür müssen auch rechtliche und ethische Fragen geklärt werden.

Einblicke in die Embryonalentwicklung durch künstliche Embryonen

Die ersten Tage und Wochen der Entwicklung eines Embryos sind für den Verlauf einer Schwangerschaft besonders wichtig. Diese Phase zu erforschen, ist jedoch gerade bei menschlichen Embryonen nicht einfach. Beobachtungen mit Ultraschall sind erst ab etwa der fünften Schwangerschaftswoche möglich. Frühe Embryonen, die im Rahmen der In-vitro-Fertilisation durch Verschmelzung von Ei- und Samenzelle außerhalb des Körpers der Mutter erzeugt werden, werden üblicherweise spätestens sechs oder sieben Tage nach der Befruchtung in die Gebärmutter eingesetzt. Menschliche Embryonen auch über diesen Zeitraum hinaus im Labor am Leben zu erhalten, scheint zunehmend möglich, doch eine international weitgehend akzeptierte Regel erlaubt dies nur bis zum 14. Tag nach der Befruchtung (oder bis zur Entstehung des sog. Primitivstreifens). Der Erforschung der embryonalen Entwicklung beim Menschen sind also praktische und moralisch-rechtliche Grenzen gesetzt.

In den letzten Jahren haben Wissenschaftlerinnen entdeckt, dass Stammzellen sich unter bestimmten Bedingungen zu Zellverbünden entwickeln können, die frühen Embryonen ähneln. Diese Strukturen werden auch als Embryoide oder künstliche/synthetische Embryonen bezeichnet, da sie im Gegensatz zu natürlichen Embryonen nicht durch die Befruchtung einer Eizelle entstehen. Konkret ist es beispielsweise gelungen, aus Mausstammzellen Embryo-Modelle zu erzeugen, die an frühe Mausembryonen im Alter zwischen 3,5 und 8,5 Tagen erinnern. Dabei umfassen manche Modelle Zellenstrukturen ähnlich denen des Embryos und der ihn umgebenden Gewebe (aus denen sich etwa die Plazenta entwickelt), andere Modelle beinhalten ausschließlich Strukturen, die Teilen eines natürlichen Embryos zu entsprechen scheinen. Die Entwicklung von künstlichen Embryonen aus menschlichen Zellen ist weniger weit fortgeschritten und umfasst bisher nur die Nachbildung einzelner Merkmale der Embryonalentwicklung, etwa der Gastrulation (Ausbildung der Keimblätter aus der Blastula) oder der Entstehung der Fruchthöhle. Es ist allerdings absehbar, dass die Methoden weiter verbessert und so nach und nach Embryo-Modelle erzeugt werden können, die natürlichen Embryonen immer ähnlicher sind. Daraus ergibt sich die Frage, welche Regeln für die Forschung an synthetischen Embryonen gelten sollen. Für die Beantwortung ist jedoch nicht nur relevant, wie ähnlich die künstlichen den natürlichen Embryonen sind, sondern auch, welchen Nutzen die Forschung an ihnen haben könnte. 

Zukunftssichere Regeln für aussichtsreiche Forschung

Fortschritte bei der Erzeugung synthetischer Embryonen wecken die Hoffnung, dass mit ihrer Hilfe Erkenntnisse über die Entwicklung natürlicher Embryonen gewonnen werden. Langfristig könnte dies beispielsweise die Entwicklung von neuen Verfahren zur Behandlung von Unfruchtbarkeit oder von verbesserten Methoden der Empfängnisverhütung ermöglichen. Genomeditierte Embryo-Modelle könnten neue Erkenntnisse über die Genetik von Fehlbildungen während der Embryonalentwicklung liefern. Auch das Verständnis von Stammzellen könnte durch die Erforschung der Modelle verbessert werden. Da Stammzellen im Labor nahezu unbegrenzt vermehrbar sind, könnten die synthetischen Embryonen in großer Zahl hergestellt werden, was beispielsweise für die Erprobung von Medikamenten hilfreich ist. Zudem können mit unterschiedlichen Modellen unterschiedliche Phasen der Embryonalentwicklung studiert werden.

Damit diese vielversprechenden Ansätze verfolgt werden können, ist es wichtig, dass die Forschung an Embryoiden klar geregelt wird. Denn natürlich drängt sich die Frage auf, ob nicht ein Zellgebilde, dass einem natürlichen Embryo sehr ähnlich ist, auch einen ähnlichen Schutz genießen sollte. Der rechtliche und moralische Status der verschiedenen Arten von bereits verfügbaren und zukünftig denkbaren Embryo-Modellen ist bisher vielerorts ungeklärt – Forschende, aber auch Forschungsförderer finden deshalb beispielsweise nicht immer eindeutige Informationen dazu, ob ein bestimmtes Forschungsprojekt erlaubt ist. Forscherinnen und Forscher fordern daher eine breite gesellschaftliche Debatte, auf deren Grundlage detaillierte Regeln für den Umgang mit künstlichen Embryonen entwickelt werden. Diese Regeln sollten beispielsweise festlegen, ob und in welchen Fällen Embryo-Modelle wie Embryonen behandelt werden müssen, da die verschiedenen Modelltypen sich in möglicherweise moralisch relevanten Eigenschaften wie ihrer Entwicklungsfähigkeit deutlich unterscheiden. Es soll auch festgelegt werden, zu welchen Zwecken an Embryo-Modellen geforscht werden darf – etwa nur zur Erreichung besonders hochrangiger Forschungsziele. Die Erzeugung von Menschen aus künstlichen Embryonen als Forschungszweck stößt dabei auf breite Ablehnung, auch durch Fachgesellschaften wie die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR). Wichtig ist, dass diese Debatte unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus den Naturwissenschaften, aber auch von Juristinnen, Philosophen, Vertreterinnen von Patientenverbänden und religiösen Gruppen, Ärzten, Politikern und anderen Stakeholdern geführt wird, so dass die resultierenden Regeln einen breiten Konsens abbilden. Einen wichtigen Impuls hierfür wird die Ergänzung der „Guidelines for Stem Cell Research and Clinical Translation“ der ISSCR zur Forschung an Embryoiden liefern, die derzeit von einer Expertengruppe erarbeitet wird und im Frühjahr 2021 veröffentlicht werden soll.

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