Forderung nach vorläufigem Verbot von vererbbaren Genomeditierungen


28.03.2019   News


Renommierte Wissenschaftler/innen aus sieben Ländern haben in der Zeitschrift „Nature“ ein Moratorium für vererbbare Veränderungen am menschlichen Genom gefordert. Ein mehrjähriger Forschungsstopp soll es der Gesellschaft ermöglichen, über zukünftige Studien koordiniert zu entscheiden.

Der Aufruf wurde von Biowissenschaftler/innen (u. a. Eric Lander, Emmanuelle Charpentier und Feng Zhang) und Bioethiker/innen (u. a. Françoise Baylis und Bettina Schöne-Seifert, Mitglied im Vorstand des Stammzellnetzwerk.NRW) gemeinsam verfasst. Er ist Teil einer Debatte über die gesellschaftlichen Folgen der Veränderung menschlichen Erbguts (Genomeditierung), die durch rasche wissenschaftliche Fortschritte an Fahrt gewinnt und seit der Meldung über die Geburt genetisch veränderter Babys in China im November 2018 auch in der breiteren Öffentlichkeit stattfindet.
 

CRISPR/Cas und vererbbare Genomeditierung

Angestoßen insbesondere durch die Forschung von Jennifer Doudna (UC Berkeley) und Emmanuelle Charpentier (MPI Berlin) sowie Feng Zhang (MIT) hat sich seit 2012 die sogenannte CRISPR/Cas-Methode zur Genomeditierung schnell verbreitet. Diese Technik ermöglicht eine deutlich vereinfachte Herstellung sogenannter „Genscheren“, mit denen das Erbgut sehr präzise verändert werden kann. Die Entwicklung von CRISPR/Cas hat in der Wissenschaft und den Medien unter anderem deshalb großes Aufsehen erregt, weil die Methode großes Potential zur Behandlung von Krankheiten hat: Beispielsweise könnte das Erbgut in Blutstammzellen so angepasst werden, dass die aus diesen Blutstammzellen entstehenden Zellen gegen bestimmte Krankheiten immun sind. Kontrovers diskutiert wird der Einsatz der neuen Technik aber hauptsächlich deshalb, weil nicht nur Körperzellen (sog. somatische Zellen) editiert werden können, sondern auch Zellen der Keimbahn wie bspw. Spermien und Eizellen. Im Unterschied zu Veränderungen in somatischen Zellen werden Genomveränderungen in Keimbahnzellen vererbt. Krankheiten, die auf spezifische genetische Merkmale zurückgehen, könnten potenziell durch solche Eingriffe für alle aus den manipulierten Keimzellen entspringenden Individuen und ihre Nachkommen ausgeschlossen werden. Diese Art von Genomveränderung war es, die im Herbst 2018 nicht nur bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern teils entsetzte Reaktionen auslöste: Der chinesische Biophysiker He Jiankui hatte in Embryonen, die durch künstliche Befruchtung erzeugt wurden, das Gen CCR5 deaktiviert, um so das Risiko für eine spätere HIV-Infektion zu reduzieren. CCR5 kodiert für ein Protein, das dem HI-Virus ermöglicht, in die Zellen zu gelangen.

Viele Wissenschaftler/innen und Ethiker/innen halten diese Experimente nicht nur deshalb für unverantwortlich, weil die Deaktivierung dieses Gens möglicherweise das Risiko anderer Krankheiten erhöht und generell zu wenig über die Auswirkungen des Eingriffs bekannt ist. Sie sind vor allem besorgt, weil die verbreitete Erzeugung genetisch veränderter Kinder gravierende gesellschaftliche Auswirkungen haben könnte. Denkbar ist zum Beispiel, dass Eltern unter Druck geraten, bestimmte Änderungen an ihrem Nachwuchs vornehmen zu lassen. Menschen mit genetisch bedingten Behinderungen könnten verstärkter Diskriminierung ausgesetzt sein. Sollte der Zugang zu vorteilhaften Genomveränderungen von der Zahlungsfähigkeit abhängen, könnten sich wirtschaftliche Ungleichheiten genetisch verfestigen.

Vor dem Hintergrund solcher Bedenken verlangen die Autoren/innen des Aufrufs den Stopp jeglicher Forschung, die genetisch veränderte Menschen erzeugt. Die Forderung bezieht sich also ausschließlich auf vererbbare Manipulationen von Spermien, Eizellen oder Embryos und nicht auf Genomveränderungen an somatischen Zellen, die nicht an Nachkommen weitergegeben werden. Auch die Veränderung des Erbguts von Keimbahnzellen zu Forschungszwecken (d.h. ohne das Ziel, ein Lebewesen zu erzeugen) soll weiterhin möglich sein.

 

Moratorium und internationale Regelung des Genome Editing

Sämtliche klinischen Anwendungen vererbbarer Genomveränderungen sollen zunächst für einen festgelegten Zeitraum von bspw. fünf Jahren untersagt sein, während wichtige offene Fragen weiter erforscht werden. Außerdem sollen Gremien und Verfahren eingerichtet werden, damit mögliche zukünftige Genehmigungen klinischer Anwendungen zur Genomeditierung bestimmte Anforderungen erfüllen.

Forschungsbedarf gibt es zum Beispiel beim Risiko unerwünschter Mutationen sowie den langfristigen Folgen von Genomveränderung für die behandelten Individuen. Geklärt werden muss nach Ansicht der Verfasser/innen auch, ob Korrekturen einzelner Mutationen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte Krankheiten verursachen, anders behandelt werden sollten als breiter angelegte Eingriffe, die verschiedenste „Verbesserungen“, sogenannte enhancements, zum Ziel haben. Da die Auswirkungen vererbbarer Genomveränderungen sehr weitreichend sein könnten und gleichzeitig noch viele Unsicherheiten bestehen, soll jede angedachte Anwendung besonders gründlich mit alternativen Methoden verglichen werden.

Die Autorinnen und Autoren fordern, dass Nationen sich zunächst selbst zur Einhaltung des befristeten Forschungsstopps verpflichten. Danach sollen sie grundsätzlich klinische Anwendungen zur Genomeditierung erlauben können, solange bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Dazu gehört, dass geplante Experimente frühzeitig öffentlich ankündigt und während eines ausreichend langen Zeitraums international diskutiert werden. Zudem soll das jeweilige Vorhaben hinsichtlich seiner wissenschaftlichen, medizinischen, gesellschaftlichen und ethischen Aspekte transparent bewertet und ein breiter gesellschaftlicher Konsens über seine Angemessenheit sichergestellt werden. Um die Nationen dabei zu unterstützen, könnte ein koordinierendes Gremium, beispielsweise bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), etabliert werden. Ein Ausschuss von Experten/innen aus der Biomedizin sowie der Ethik und den Gesellschaftswissenschaften soll regelmäßig Sachstandsberichte erstellen.

 

Reaktionen auf den Aufruf

Tatsächlich sind viele Fachleute der Ansicht, dass vererbbare Eingriffe in das menschliche Genom derzeit unterbleiben sollten und dass zunächst eine breite gesellschaftliche Diskussion stattfinden muss. Allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, ob das vorgeschlagene Moratorium notwendig oder hilfreich ist. In ca. 30 Ländern sind die entsprechenden Verfahren bereits untersagt, so auch in Deutschland. Als freiwillige Selbstverpflichtung von Nationen führt das Moratorium hingegen nicht ohne Weiteres dazu, dass Verstöße geahndet werden. Daher gehen auch die Meinungen darüber auseinander, ob es die Versuche von He in China verhindert hätte. Wissenschaftler/innen befürchten andererseits, dass ein Forschungsstopp von festgelegter Dauer flexible Reaktionen auf neue Entwicklungen erschwert und so wünschenswerte Fortschritte verzögern würde. Derzeit scheint unklar, ob und in welchem Umfang der Vorschlag umgesetzt wird. Während die National Institutes of Health der USA sich dem Aufruf ausdrücklich anschlossen, äußerten sich die UK Royal Society, die US National Academy of Sciences und die US National Academy of Medicine etwas zurückhaltender. Auch eine der Entdeckerinnen der CRISPR/Cas-Methode, Jennifer Doudna, hat den Aufruf im Gegensatz zu ihrer ehemaligen Kollegin Emmanuelle Charpentier sowie Feng Zhang nicht unterzeichnet. Doudna unterstützt stattdessen Bemühungen diverser nationaler Wissenschaftsakademien, international anerkannte Standards zur Anwendung vererbbarer Genomveränderungen zu erarbeiten. Diese Initiative wiederum steht im Austausch mit einem von der WHO im Dezember 2018 eingerichteten Komitee, das in den kommenden zwei Jahren Empfehlungen zur Steuerung und Überwachung von Veränderungen am menschlichen Genom formulieren soll. Der Deutsche Ethikrat will bereits im Mai 2019 eine detaillierte Stellungnahme zu Keimbahneingriffen vorlegen.

Vollständiger Moratoriumsaufruf: Lander et al., Adopt a moratorium on heritable genome editing, Nature Comment, 13.03.2019

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