Debatte über Mensch-Tier-Chimären in der Forschung


30.09.2019   News


Ein japanischer Forscher plant, Ratten und Mäusen menschliche Stammzellen einzupflanzen – darüber wird derzeit lebhaft diskutiert. Hoffnungen auf Fortschritte beim Organersatz und in der Medikamentenentwicklung steht die Befürchtung gegenüber, dass die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt.

Was hat das japanische Forschungsteam vor?

„Mischwesen“ oder Chimären sind Organismen, die aus zwei oder mehr Geweben verschiedener genetischer Zusammensetzung bestehen. Um Chimären für die Forschung künstlich zu erzeugen, werden Stammzellen in einen Embryo (Blastozyste) eingebracht, aus dem sich dann ein Organismus entwickelt, basierend auf Zelllinien verschiedenen genetischen Ursprungs. Kontrovers sind vor allem künstliche Chimären, für deren Erzeugung menschliche Zellen verwendet werden. Natürlich menschliche Chimären, d.h. ein Mensch, bei dem wahrscheinlich zwei Eizellen fusioniert sind, gibt es dagegen sehr selten.

Der japanische Stammzellforscher Hiromitsu Nakauchi, an dessen Versuchsankündigung sich die jüngste Debatte entzündete, hat schon in der Vergangenheit untersucht, wie sich Stammzellen einer Tierart in Embryonen anderer Tierarten verhalten. 2017 veröffentlichte er Ergebnisse eines Experiments, in dem er und sein Team Rattenembryonen zunächst genetisch so veränderten, dass sie keine Bauchspeicheldrüse entwickelten. Die Bauchspeicheldrüse produziert unter anderem das Hormon Insulin, welches für die Regulierung des Blutzuckerspiegels benötigt wird und bei Diabetes-Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt. Diesen Rattenembryonen wurden Stammzellen von Mäusen injiziert. Da Stammzellen sich zu verschiedenen Zelltypen ausdifferenzieren können, bestand die Hoffnung, dass sie sich zu Zellen der Bauchspeicheldrüse entwickeln würden. Tatsächlich bildete sich in den Rattenembryonen Maus-Bauchspeicheldrüsengewebe, welches nach Verpflanzung in Mäuse mit Diabetes die Insulinproduktion normalisierte. Forschung an Chimären aus verschiedenen Arten ist also nicht neu. Die aktuellen Ankündigungen Nakauchis erregen deshalb großes Aufsehen, weil zum einen menschliche Stammzellen verwendet werden sollen, und zum anderen in Japan seit Frühjahr 2019 neue gesetzliche Regelungen gelten: Bisher wurden Chimären-Embryonen nicht in Muttertiere eingepflanzt, sondern nach spätestens 14 Tagen getötet (die Tragezeit von Mäusen beträgt 19 bis 21 Tage, die von Ratten 21 bis 26 Tage). Die neuen Regelungen gestatten nun sowohl das Einpflanzen wie auch das Vollenden der Schwangerschaft. Nakauchi will menschliche Stammzellen zunächst in Embryonen von Ratten und Mäusen injizieren, später auch in Affen- und Schweineembryonen. Zunächst sollen die Experimente nach Aussage von Nakauchi jedoch vor der Geburt abgebrochen werden.
Die Diskussion über Mischwesen wurde zusätzlich genährt durch Berichte über Versuche des spanischen Forschers Juan Carlos Izpisúa Belmonte in China, die kurz nach der Ankündigung aus Japan veröffentlicht wurden. Bei diesen Versuchen wurden menschliche Stammzellen in Affenembryonen eingebracht. Abgesehen von der Aussage, dass das Experiment vielversprechend verlaufen, aber nach wenigen Tagen beendet worden sei, gibt es dazu bisher allerdings kaum Informationen.     

Wozu dient die Forschung an Mensch-Tier-Chimären?

Forschung an Chimären mit menschlichen Zellen verfolgt mehrere Ziele: Langfristig erhoffen Wissenschaftler/innen sich, kranke Menschen besser mit dringend benötigten Zellen oder Organen versorgen zu können. Ähnlich wie in den oben beschriebenen Versuchen mit Ratten und Mäusen könnten dazu menschliche Stammzellen in Tierembryonen eingepflanzt werden, damit dort bestimmte menschliche Zellen oder Organe heranwachsen. Auch auf eine andere Weise kann die Chimärenforschung nützlich sein: Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten daran, patientenspezifische Zellen oder organähnliche Gewebestrukturen „im Reagenzglas“ statt in lebenden Organismen zu erzeugen. Dies gelingt jedoch bisher nur teilweise. Wenn die Entwicklung menschlicher Stammzellen in tierischen Embryonen besser verstanden wird, kann diese Entwicklung möglicherweise auch außerhalb des lebenden Organismus erfolgreicher herbeigeführt werden. An menschlichen Embryonen können solche Entwicklungsprozesse aus ethischen Gründen nur begrenzt erforscht werden. Schließlich könnten menschliche Gewebe oder Organe in Tieren es ermöglichen, patientenspezifisch Medikamente oder Behandlungen zu testen, ohne die Patientin oder den Patienten selbst dem Risiko unbekannter Nebenwirkungen auszusetzen.

Welche Bedenken und Schwierigkeiten gibt es?

Kritiker der Forschung an Mensch-Tier-Chimären äußern neben Sorge um das Wohlergehen der Versuchstiere häufig die Befürchtung, dass diese Lebewesen sich nicht mehr eindeutig als Mensch oder Tier einordnen lassen. Besonders prominent ist dabei die Vermutung, dass solche Chimären Eigenschaften entwickeln könnten, die wir mit dem besonderen moralischen Status von Menschen in Verbindung bringen.
Da Stammzellen sich in unterschiedliche Zelltypen ausdifferenzieren können, ist es theoretisch denkbar, dass weitere Zelltypen entstehen, z.B. Nervenzellen. Nakauchi hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass die eingebrachten menschlichen Zellen in das entstehende Gehirn des Tierembryos wandern und dort menschliche Nervenzellen bilden, zumal sich in bisherige Experimenten gezeigt hatte, dass die Anzahl der eingebrachten menschlichen Zellen in Rinder- oder Schweineembryonen schon nach wenigen Tagen stark reduziert war. Sollte eine Migration der Zellen ins Gehirn dennoch vorkommen, könnte sich dies theoretisch auch auf die geistigen Fähigkeiten des Lebewesens auswirken. Falls so beispielsweise die Empfindungs- oder Leidensfähigkeit zunimmt, könnte dies Einfluss darauf haben, welcher Umgang mit diesem Lebewesen moralisch vertretbar ist. Dass Mensch-Tier-Mischwesen moralisch relevante, menschenähnliche Eigenschaften entwickeln, ist somit eine mögliche Folge, die es zu bedenken gilt. Den Ankündigungen Nakauchis nach sind solche Ergebnisse allerdings zumindest vorerst kaum zu erwarten: Die japanischen Forscherinnen und Forscher verfolgen einen vorsichtigen Ansatz, bei dem die Lebensdauer der Embryonen langsam und schrittweise erhöht wird. Da die Tierembryonen so verändert werden, dass sie bestimmte Organe nicht selbst entwickeln, geht man davon aus, dass die menschlichen Stammzellen in erster Linie die entstehenden „Lücken“ füllen. Wo und in welchem Umfang die menschlichen Stammzellen tatsächlich Fuß fassen, wird dabei ständig beobachtet. Zudem hat Nakauchi angekündigt, die Experimente zu stoppen, sofern beobachtet wird, dass die eingebrachten menschlichen Zellen in andere Gewebe, z.B. das Gehirn, wandern.

Von der Züchtung ganzer menschlicher Organe in Tieren ist die Forschung momentan noch weit entfernt. Auf dem Weg dahin müssen zahlreiche Hürden überwunden werden. So wären in Mäusen oder Ratten erzeugte Organe viel zu klein, um ihre Funktion im Körper eines erwachsenen Menschen zu erfüllen. Schweine eignen sich in dieser Hinsicht besser als Wirtstiere. Bei bisherigen Versuchen, menschliche Stammzellen in Schweinen oder Schafen anzusiedeln, zeigte sich allerdings, dass diese während der Entwicklung des Embryos größtenteils zerstört werden. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Schweine und Menschen evolutionär viel weniger eng miteinander verwandt sind als bspw. Ratten mit Mäusen. Vor diesem Hintergrund sind Experimente mit menschlichen Stammzellen in näher verwandten Arten wie Affen naheliegend, doch auch diese Forschung steht erst am Anfang.

Bei der Forschung an Mensch-Tier-Chimären stehen faszinierende medizinische Aussichten nachvollziehbaren Bedenken gegenüber. Daher scheint es ratsam, die Forschung zwar voranzutreiben, dabei aber sorgfältig und in kleinen Schritten vorzugehen, damit das Wohl der Versuchstiere angemessen berücksichtigt und neue Erkenntnisse fortlaufend sowohl aus biologischer wie auch aus ethischer Perspektive bewertet werden können.

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