CRISPR-Cas9: Revolution im Reagenzglas


24.06.2016   News


Das ungewöhnliche Kürzel CRISPR-Cas9 (CRISPR - Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats; Cas9 - Protein) steht für ein Verfahren, mit dem DNA-Bausteine im Erbgut verändert werden können. Innerhalb der Welt der Gentechnik gilt es als Revolution – und ist dennoch nicht unumstritten. Zwei Experten aus den Bereichen Ethik und Naturwissenschaften schildern im Doppel-Interview ihre Sicht: Dieter Sturma, Professor für Philosophie unter besonderer Berücksichtigung der Ethik in den Biowissenschaften an der Universität Bonn und zugleich unter anderem Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik (IWE) sowie Michael Hölzel, Professor am Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikum Bonn. Seine Arbeitsgruppe erforscht, wie Krebszellen gegen neue Krebstherapien resistent werden.

Weshalb ist CRISPR-Cas9 eine solch’ revolutionäre Technologie – was unterscheidet sie von anderen? 

Professor Hölzel: Das System stammt aus Bakterien, die sich damit gegen Eindringlinge, die sogenannten Bakteriophagen, schützen können, also eine Art Immunsystem von Bakterien. Durch bahnbrechende Arbeiten in den letzten Jahren, konnte der Wirkmechanismus entschlüsselt werden und das Verfahren für die breite biomedizinische Forschung und Anwendung zugänglich gemacht werden. Mit CRISPR-Cas9 kann die doppelstrangige DNS an einer bestimmten Stelle gezielt geschnitten werden – durch ein Enzym, das mithilfe einer kleinen RNS sequenzgenau dorthin geführt wird. Dadurch entsteht im Vergleich zu anderen Technologien mit einem gleichweise einfachen System eine stabile genetische Modifikation. Genauer gesagt kann man jede Region im Genom modifizieren und auf diese Weise zum Beispiel krankhafte Mutationen korrigieren. Das ist eine der zentralsten Entdeckungen der letzten Jahre, die völlig neue Möglichkeiten mit sich bringt. 

Welche Auswirkungen wird ihre Anwendung voraussichtlich haben?

Professor Hölzel: CRISPR-Cas9 ist innerhalb kürzester Zeit weltweit zu einem Standardverfahren in der biomedizinischen Forschung geworden. In der Öffentlichkeit wird diese faszinierende Technik oft im Zusammenhang mit Begriffen wie "Designer Baby" diskutiert, also Aspekten, die auf die Modifikation der Erbinformation in der Keimbahn abzielen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass CRISPR-Cas9 in erster Linie als ein revolutionierender Beitrag zur biomedizinischen Grundlagenforschung sowie zur Forschung im pharmazeutischen Bereich gesehen wird. So lässt sich beispielsweise anhand von Zellkulturen besser überprüfen, auf welche Genprodukte Medikamente genau wirken, bzw. auch neue Ansatzpunkte für Medikamente identifizieren. In der klinischen Anwendung wird CRISPR-Cas9 sicher große Auswirkung auf die Zelltherapie haben. Zum Beispiel könnten Gendefekte in Knochenmarkszellen von Patienten in vitro korrigiert werden. Anschließend kann der Patient dann seine eigenen Knochenmarkszellen zurück erhalten – eine voraussichtlich deutlich besser verträgliche Alternative zur Übertragung fremder, gesunder Knochenmarkszellen, die vom Körper abgestoßen werden können. 

Weshalb gibt es eine Kontroverse zwischen Forschern zu CRISPR-Cas9 – was wird in ethischer Hinsicht befürchtet?

Professor Sturma: Das Verfahren ermöglicht einen Eingriff in das Erbgut des Menschen, und wenn Gene oder Embryonen in den Fokus der Grundlagenforschung geraten, werden in ethischen Debatten schnell Schreckensszenarien heraufbeschworen. Dann ist die Rede vom Eingriff in die Schöpfung, von der Verletzung natürlicher Grenzen oder einem Dammbruch, denn nun sei ja kein Halten mehr. Ich teile diese Ansichten nicht und bin generell skeptisch gegenüber kategorischen Verboten von technischen Innovationen. Das Argument der Natürlichkeit finde ich sperrig – um uns herum gibt es kaum noch Natürliches und die genetische Ausstattung des Menschen hat sich ja auch im Übergang von der Natur- zur Kulturgeschichte gewandelt. Biotechnik verletzt nicht als solche die Würde des Menschen.

Wie schätzen Sie dieses Verfahren ein?

Professor Sturma: Ich denke, es eröffnet ein großes Anwendungsfeld, das man im Hinblick auf die therapeutischen Möglichkeiten unbedingt ausloten muss. Die Gefahr eines Dammbruchs stellt sich meines Erachtens nicht. Wir können auf der Grundlage unseres biologischen, technischen und normativen Wissens von Fall zu Fall immer neu entscheiden, wie man mit diesem Verfahren weiter umgeht. Die vielen Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen, müssen ja nicht schnell realisiert werden. Man kann sich ihnen mit hoher Wachsamkeit schrittweise annähern. In den gegenwärtigen Diskussionen kann man das nicht zuletzt an den beiden Pionierinnen des Verfahrens, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, beobachten. 

Wie kann der Umgang mit der CRISPR-Cas9 Technik so gestaltet werden, dass den Interessen der Forschung und gesellschaftlichen Bedenken hinreichend Rechnung getragen wird?

Professor Sturma: Für mich ist das Geben und Nehmen von Gründen im internationalen ethischen Diskurs wichtig. Dabei dürfen wir beispielsweise nicht aus dem Blick verlieren, dass in anderen Kulturkreisen der Mensch nicht als Ebenbild Gottes gesehen wird. Es gibt also unterschiedliche normative Haltungen, die wir einbeziehen müssen. Bei der biotechnischen Ausgestaltung müssen therapeutischer Nutzen sowie Sicherheit und Beherrschbarkeit des Verfahrens immer an oberster Stelle stehen. Insbesondere gilt es zu klären, welche mittel- und langfristigen Folgen bzw. Nebeneffekte nicht ausgeschlossen werden können. Auch müssen Probleme bedacht werden, die sich aus der möglichen Kommerzialisierung ergeben. 

Professor Hölzel: Bevor wir die Technik für Therapien beim Menschen anwenden können, muss das Verfahren sorgfältig validiert werden, um sicher zu gehen, dass die DNS nicht auch an anderen Stellen durchschnitten wird (sogenannte off-target Schnitte). Die Genauigkeit des Schnitts gilt es zu optimieren. Studien müssen feststellen, dass ein verbessertes Verfahren nur die gewünschten Veränderungen und keine anderen hervorruft. Dafür ist noch intensive Grundlagenforschung notwendig und bei entsprechender Datenlage können klinische Studien folgen, die wie alle klinischen Studien entsprechend vorab durch Ethikkommission genehmigt werden müssen. Die Frage der Modifikation der Keimbahn muss, wie alle weitreichenden Aspekte in der Vergangenheit, in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs erörtert werden.