CRISPR Cas9: Gentechnik oder nicht?


16.12.2016   News


Neue Methoden der genetischen Veränderung wie CRISPR Cas9 bieten Möglichkeiten, die noch bis vor kurzem utopisch erschienen. Das hocheffiziente und kostengünstige Verfahren zählt zu den wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre. Nicht nur die Forschung, sondern auch vielfältige Anwendungsfelder könnten von der Technologie profitieren. Neben der grünen Gentechnik könnte auch die Tierzucht, die in der klassischen Gentechnik bislang keine herausragende Rolle spielt, ganz neue Impulse bekommen. Aber wie lässt sich CRISPR Cas9 am Maßstab des geltenden Rechs beurteilen? 

Das Ringen um die Bedeutung von Begriffen ist das Hauptgeschäft der Juristen. Ganze Regale juristischer Literatur lassen sich etwa mit kontroversen Diskussionen zu der Frage, wie eigentlich aktives Handeln von passivem Unterlassen strafrechtlich zu unterscheiden ist, füllen. Besonders kompliziert wird es dann, wenn die verwendeten Rechtsbegriffe auf ein sich dynamisch entwickelndes Forschungsfeld Bezug nehmen. In der Stammzellforschung haben wir es mit einer Vielzahl von Fällen zu tun, in denen normative Begriffsbestimmungen durch neue wissenschaftliche Ergebnisse unter Druck geraten. So stellt sich etwa die Frage, ob Totipotenz als Kriterium der Zuschreibung von Menschenwürde, angesichts der Erkenntnisse zur Zell-Reprogrammierung noch trägt. Und um ein weiteres Beispiel zu nennen, ob die Gewinnung von Gameten aus induziert pluripotenten Stammzellen (iPS) und deren Verwendung sich unter die Bestimmung des Embryonenschutzgesetzes subsummieren lassen, kann als ungeklärt gelten.

Die Entwicklung von CRISPR Cas9 als Methode des Genomeditierens hat in letzter Zeit eine weitere derartige Debatte ausgelöst. Hintergrund ist die Frage, ob CRISPR Cas9 und andere Techniken des Genomeditierens (wie etwa OMD) überhaupt als Gentechnik im Sinne des deutschen Gentechnik Gesetzes (GenTG) und der EU Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) zu qualifizieren sind. Kommt man zu der Einschätzung, dass dies nicht der Fall ist, so würden Produkte, die mittels Techniken der Genomeditierung erzeugt wurden, nicht unter das strenge Freisetzungsregime der Richtlinie fallen, sondern künftig genauso behandelt werden wie etwa Ergebnisse klassischer Züchtungsmethoden. Auswirkungen hätte diese Rechtsauffassung auch für den Verbraucherschutz. In der EU besteht eine Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen.

Die Kontroverse entzündet sich – vereinfacht gesagt – an der Begriffsbestimmung aus § 3 Abs. 3 GenTG worin ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO) qualifiziert wird als „ein Organismus [...] dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“. Stimmen, die der Anwendung des GenTG auf die Genomeditierung kritisch gegenüberstehen (unter anderem das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in einer Stellungnahme vom 31. Oktober 2016) argumentieren, dass bei der Anwendung von CRISPR Cas9 gerade nicht ganze Sequenzen artfremden Erbgutes und Vektoren in die DNA eingefügt werden. Stattdessen handele es sich bei den Veränderungen um Punktmutationen, die auch auf natürlichem Wege hätten entstehen können. Zudem stellt sich die Frage, wie eine Technologie, deren Produkte sich von Ergebnissen konventioneller Mutagenese oder natürlich vorkommender Mutation nicht unterscheiden, überhaupt kontrolliert werden soll. Anders als bei bisher üblichen Techniken der genetischen Veränderung, sind die bei der CRISPR Cas9 Methode zur genetischen Veränderung genutzten Vektoren (Guide RNA und das Cas Enzym) im Endprodukt nicht mehr nachweisbar und das Produkt lässt sich insofern bei einer etwaigen Freisetzung im Nachgang nicht von natürlich entstandenen Varianten unterscheiden.

Gegen eine Herausnahme von Genome Editing aus dem Geltungsbereich der Freisetzungsrichtlinie (und inzident den Bestimmungen des sie umsetzenden deutschen GenTG) wird angeführt, dass die Freisetzungsrichtlinie die Einstufung als GVO nicht an den Eigenschaften des Endproduktes, sondern an dem Prozess der Gewinnung bemisst. Entscheidend ist, dass in einen Organismus „direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde". Demnach ist für die Einschlägigkeit der Richtlinie und des damit verbundenen Freisetzungsregimes lediglich von Bedeutung, dass das Genom einer Pflanze oder eines Tieres verändert wurde, gleichgültig welche Methode dazu eingesetzt wurde. Ausgenommen sind davon lediglich die Mutagenese sowie Organismen, die mit Techniken zur genetischen Veränderung gewonnen werden, die „herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten“. Keine dieser Ausnahmen trifft wohl auf neue Methoden des Genome Editing zu. Ein Abweichen von dem verfahrensorientierten Ansatz, so Kritiker, würde angesichts der zu erwartenden Verbreitung der CRISPR Cas9 Methode zu einer weitgehenden Aushöhlung des Gentechnik Gesetzes führen und dem Vorsorge Prinzip des europäischen Umweltrechtes zuwiderlaufen.

Im Rahmen der anstehenden Novelle des Gentechnik Gesetzes wird diese Frage in den kommenden Monaten sicherlich weiterhin kontrovers diskutiert. Entscheidend wird es darauf ankommen, ob das Regulierungsmodell sich dem in Kanada bereits eingeführten und möglicherweise demnächst auch in den USA geltenden produktorientierten Ansatz annähert oder zur Beurteilung von GVO weiterhin einen streng prozessorientierten Ansatz nutzt. Von Seiten der Europäischen Union ist es bislang nicht zu einer Klärung in dieser Frage gekommen. Eine eigentlich für März 2016 angekündigte Stellungnahme der Kommission ist bislang unterblieben. Im Zweifelsfall ist nicht auszuschließen, dass die Streitfrage letztendlich am Europäischen Gerichtshof verhandelt werden wird, in dessen Zuständigkeit die Auslegung europäischen Gemeinschaftsrechtes wie der Freisetzungsrichtlinie liegt.