Bericht der Bundesregierung: Humane embryonale Stammzellen bieten weiterhin Potential trotz Einschränkungen durch Gesetzeslage


26.06.2019   News


Im Mai 2019 veröffentlichte die Bundesregierung ihren achten Erfahrungsbericht zur Durchführung

des Stammzellgesetzes. Neben einer Übersicht der im Berichtszeitraum genehmigten Anträge wird auch ein Fazit zum Stand der Stammzellforschung in Deutschland im internationalen Vergleich gezogen.

Humane embryonale Stammzellen

© Dr. Lucas-Sebastian Spitzhorn und Dr. Claus Kordes, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf


Ein stetiges Interesse an der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) lässt die Anzahl der Erst-Antragssteller im Berichtszeitraum (1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2017) vermuten: Nur sieben der Antragssteller hatten zuvor bereits eine Genehmigung erhalten, alle anderen erhielten zum ersten Mal eine Genehmigung zur Einfuhr und Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken. 
Insgesamt wurden bei der zuständigen Behörde, der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) im Robert Koch-Institut (RKI) seit Inkrafttreten des Stammzellgesetzes (StZG) im Juli 2002 bereits 146 Genehmigungen (Stand Mai 2019) erteilt. Im aktuellen Berichtszeitraum wurden 25 Anträge auf Genehmigung zur Einfuhr und/oder Verwendung von hES-Zellen gemäß StZG gestellt, von denen keiner abgelehnt wurde (eine Entscheidung stand am Ende des Berichtszeitraums noch aus). 
 

Wofür werden die humanen embryonalen Stammzellen verwendet?
Die Mehrzahl der Anträge in 2016/17 kam aus dem Bereich Grundlagenforschung. In einigen Forschungsvorhaben geht es aber beispielsweise auch um die Etablierung von Zellmodellen, um Erkrankungen des Menschen genauer untersuchen zu können. Andere Ansätze wiederum verwenden hES-Zellen, um Fragestellungen parallel an humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) und an hES-Zellen zu untersuchen. Eine zuvor befürchtete überwiegende Verwendung von hES-Zellen als „gold standard“ für die Forschung mit hiPS-Zellen ist dagegen weder in Deutschland noch international erkennbar. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass die Verwendung von hES-Zellen weiterhin erforderlich ist. Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Forschungsvorhaben finden Sie im Bericht.

Wie verläuft die Prüfung?
Die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) prüft, ob die Zelllinien, die verwendet werden sollen, den Bedingungen zu Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen laut Stammzellgesetz entsprechen. Dazu wird unter anderem geklärt, ob

  • es sich um "hochrangige Forschungsziele für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung oder für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen" handelt.
  • es ausschließlich mit humanen embryonalen Stammzellen möglich ist, die wissenschaftliche Fragestellung zu untersuchen. Zudem wird betrachtet, ob bereits alle vorgehenden Fragestellungen in Tierversuchen oder In-vitro-Modellen mit tierischen Zellen untersucht wurden (dies ist jedoch nicht möglich, wenn sich tierische und menschliche Zellen in den relevanten Eigenschaften erheblich unterscheiden, bspw. bei Fragestellungen zur Evolution des menschlichen Gehirns).
  • das Forschungsvorhaben auch verfolgt werden kann, wenn ausschließlich hiPS-Zellen verwendet werden (für eine Ablehnung müssen jedoch wissenschaftliche Beweise vorliegen; Ablehnungen basierend lediglich auf der Annahme, dass die jeweils zu klärenden Forschungsfragen unter Verwendung von hiPS-Zellen beantwortet werden könnten, sind nicht möglich).
  • die Fragestellungen bislang weder unter Nutzung von hES-Zellen noch unter Verwendung von hiPS-Zellen beantwortet wurde (bspw. die Entwicklung von In-vitro-Modellen für neurodegenerative oder psychiatrische Erkrankungen).

Was zeigt sich im internationalen Vergleich?
Aufgrund der Stichtagsregelung dürfen in Deutschland derzeit nur Zelllinien importiert werden, die vor dem 1. Mai 2007 generiert wurden. Besonders interessant für die Forschung und für spätere klinische Anwendungen sind allerdings hES-Zelllinien, die unter sogenannten Good Manufacturing Practice (GMP)-Bedingungen in Abwesenheit tierischer Zellen etabliert und bei denen nur synthetische Zellkulturmedien und -materialien verwendet wurden. Da diese Linien erst nach dem Stichtag entwickelt wurden, dürfen sie in Deutschland nicht verwendet werden. Dies führt zu einer deutlichen Einschränkung der Wissenschaftler/innen im internationalen Vergleich. Ferner wurde berichtet, dass der ZES eine Voranfrage für die Verwendung einer Stammzelllinie vorliegt, die erst nach dem Stichtag etabliert wurde. Es wird sich zeigen, ob diese oder andere Anfragen ggf. langfristig zu einer Veränderung der Stichtagsregelung führen werden.

Es wird positiv erwähnt, dass die deutsche Stammzellforschung sich mit aktuellen Themen, wie z.B. dem Genome Editing oder der Entwicklung von Gehirnorganoiden aus hES-Zellen beschäftigt und damit in bestimmten Bereichen den Anschluss an den internationalen Wettbewerb hält. Allerdings wird auch festgehalten, dass die derzeitige Gesetzeslage eine Abkopplung der Stammzellforschung in Deutschland im Hinblick auf klinische Studien bedingt: Während hierzulande derzeit keine solchen Studien basierend auf humanen embryonalen Stammzellen durchgeführt werden, gibt es in anderen Ländern ca. 30 klinische Studien (u.a. in USA, China, Israel, Kanada, Großbritannien, Frankreich). Ziel dieser Vorhaben ist es, zellbasierte Therapien zur Behandlung von derzeit nicht heilbaren Krankheiten zu entwickeln. Geforscht wird unter anderem zu altersbedingter Makuladegeneration, Diabetes mellitus, amyotropher Lateralsklerose oder Morbus Parkinson.

Hier finden Sie den vollständigen Bericht.