Wofür kann man Stammzellen einsetzen?

Stammzellen sind für die Wissenschaft sehr faszinierend und bieten ein großes Potential zur Erforschung schwerer Krankheiten, für die es bisher keine Heilung gibt. In vielen Forschungsprojekten wird parallel mit adulten, embryonalen und auch induziert pluripotenten Stammzellen gearbeitet. Die Ziele der Stammzellforschung sind vielfältig, und lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt in folgenden Kategorien beschreiben:

Grundlagenforschung

In der Grundlagenforschung stehen die Aufklärung von molekularen Mechanismen der Spezialisierung einzelner Zellen sowie die Untersuchung der Organisation von Zellen im Gewebeverband und in Organen im Vordergrund. Darüber hinaus möchte man ein verbessertes Verständnis der Entwicklung und Regulation früher Stammzellstadien erreichen und die Mechanismen, die der Fähigkeit zu Vermehrung und Differenzierung zugrunde liegen, erforschen. 

Insbesondere ES-Zellen können wertvolle Erkenntnisse über die Embryonalentwicklung gewähren. Vor allem möchte man die Mechanismen und molekularen Grundlagen verstehen, die zur Spezialisierung einer totipotenten befruchteten Eizelle oder des sehr frühen Embryos führen. Außerdem ermöglichen ES-Zellen es, Fehlbildungen und Krankheiten besser zu verstehen und diesen langfristig vorbeugen zu können. 

Entwicklung von Zellersatztherapien

Viele schwere und bislang unheilbare Erkrankungen gehen mit dem Verlust von Zellen einher, die der Körper auf natürlichem Wege nicht regenerieren kann. Beispiele hierfür sind neurologische Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, aber auch Diabetes, Querschnittslähmungen und Herzinfarkte. Die Grundidee der Zellersatztherapie ist es, das verlorene Gewebe mit Hilfe von Stammzellen zu ersetzen oder reparieren. Weltweit forschen Wissenschaftler/innen an der Entwicklung solcher Zellersatztherapien. Besonders interessant ist der Gewebeersatz für solche Gewebe, die nur ein geringes oder gar kein Regenerationsvermögen aufweisen, wie z. B. Nervengewebe. Die meisten Therapien, etwa zur Behandlung von Diabetes oder Parkinson, befinden sich jedoch alle noch in der (prä-)klinischen Forschung. Bisher zugelassen ist die Transplantation von Knochenmarkstammzellen, von Hautstammzellen und von Hornhautstammzellen im Auge. 

Die Ansätze, an denen in Deutschland geforscht wird, basieren entweder auf der Verwendung adulter Stammzellen oder iPS-Zellen. In manchen Ländern werden auch Zellersatztherapien mit embryonalen Stammzellen entwickelt, dies ist jedoch in Deutschland nicht erlaubt. 

Inzwischen ermöglichen es die neuen biotechnologischen „Werkzeuge“, wie z.B. die Genschere Crispr-Cas9, das genetische Material von Stammzellen gezielt zu verändern. Dies ist vor allem zur Behandlung monogenetischer Erkrankungen, also Krankheiten durch einen Defekt in genau einem Gen hervorgerufen werden, vielversprechend. Bisher kommen solche Ansätze nur im Rahmen von klinischen Studien unter strengen kontrollierten Bedingungen zum Einsatz. 

Ein großer Erfolg für die Stammzelltherapie war die Behandlung eines Jungen, der unter der sogenannten „Schmetterlingskrankheit“ (Epidermolysis bullosa) litt. Da der Patient bereits so gefährdet war durch die Krankheit (80% Hautverlust), wurde ein klinisch noch nicht zugelassener Therapieansatz im Rahmen einer Ausnahmeregelung unter Zustimmung der entsprechenden Ethikkommissionen erlaubt. Dem Jungen wurden körpereigene Stammzellen entnommen, sie wurden genetisch modifiziert und es fand eine Hauttransplantation statt, die aus genmodifizierten Stammzellen gezüchtet wurden. Diese experimentelle Therapie führte zu einer erheblichen Verbesserung der Krankheit und zeigt, wie wichtig die Forschung mit Stammzellen ist. 

Entwicklung von Krankheitsmodellen

Die zellulären und molekularen Ursachen vieler Erkrankungen sind bis heute nicht gut verstanden. Was genau passiert zum Beispiel bei Alzheimer? Am lebenden Patienten kann man diesen Fragen nicht nachgehen – oder nur mit großen Schwierigkeiten. Stattdessen können Forscher heute Krankheiten im Labor simulieren. Dazu verwenden sie reprogrammierte iPS-Zellen oder Stammzelllinien, die aus einer Gewebeprobe gewonnen wurden. Auf diesem Wege können Wissenschaftler wertvolle Einblicke in die Ursachen und Verläufe genetisch bedingter Erkrankungen erlangen.

Weiterführende Informationen zu Krankheitsmodellen aus Stammzellen: http://www.stammzellen-verstehen.de/Ethik/Krankheitsmodelle.aspx

Wirkstofftestung

Die Entwicklung neuer Medikamente und Wirkstoffe beruht zum großen Teil auf Tierversuchen, zum Beispiel an Mäusen. Anschließend an diese Experimente wird ein Medikament unter streng kontrollierten Bedingungen in einer klinischen Studie am Menschen getestet. Allerdings sind die Ergebnisse aus Tierversuchen nur begrenzt auf den Menschen übertragbar. Daher können sich Forscher nie sicher sein, dass eine im Tierversuch unschädliche Substanz auch für den Menschen ungefährlich ist und zudem die gewünschte Wirksamkeit erzielt. Stammzellen aus menschlichem Gewebe werden genutzt, um organspezifische Zellen zu differenzieren und diese als Testsysteme für neue Wirkstoffe anzuwenden. So können verlässlichere Ergebnisse erzielt und die Anzahl der Tierversuche langfristig reduziert werden.

Besonders interessant für die Wirkstofftestung sind die so genannten Organoide, also Miniorgane in Größe einer Erbse oder Bohne. Anhand der Organoide ist es möglich, Medikamente nicht nur in einer zweidimensionalen Zellkultur zu testen, sondern in einer dreidimensionalen Gewebestruktur, die aus mehreren verschiedenen Zelltypen aufgebaut ist und die natürliche Organstruktur besser wiederspiegelt. Auch bieten Stammzell-Linien und Organoide eine gute Möglichkeit, bereits zugelassene Medikamente für eine andere Therapieindikation zu testen. Mit Hilfe der iPS-Technologie ist es sogar möglich, bestimmte Wirkstoffe spezifisch am Gewebe eines einzelnen Patienten zu testen, zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen, für die es bisher kaum Medikamente gibt